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Inspiration

Nur, wo Werte sind, kann Sinn entstehen

 
 

 

Blogbeiträge

Warum sich Enkeltauglichkeit mit Egoismus vertragen kann

 

Foto von Scott Higdon auf Unsplash

 
 

Wenn wir auf dem Fahrrad aufhören in die Pedale zu treten, fallen wir früher oder später einfach um. Wir verlieren das Gleichgewicht und das wars dann mit Radeln. Im Kern funktioniert unser Wirtschaftssystem nach dem gleichen Prinzip. Immer weiter strampeln, um nicht zu stürzen. "Dynamische Stabilisierung" nennt dies der Soziologe Hartmut Rosa und erklärt damit, dass sich Konsum und Arbeit so gegenseitig stabilisieren - allerdings auch immer weiter beschleunigen.  

Warum nicht einfach aus dem Hamsterrad aussteigen? Alles auf "Reset" setzen. Grundsätzlich erscheint dies als interessante Idee, aber ganz unabhängig davon, wie realistisch es wäre, die Akteure auf dem Weltmarkt davon zu überzeugen, würde das “Reset“ der Wirtschaft sofort durchschlagen auf andere Gesellschaftssysteme wie Soziales, Politik, Sicherheit, Krankenversorgung oder öffentliche Verwaltung. Einfach aussteigen und dann maßhalten ist also keine Option, wenn wir eine andere, enkeltauglichere Form des Wirtschaftens anstreben wollen.
 

Post-kapitalistisch bedeutet nicht anti-kapitalistisch 

Der Planet und seine Grenzen wird uns so oder so vorgeben, dass sich die Wirtschaftswelt verändert. Leider meldet sich die Natur erst so richtig vehement, wenn schon Vieles aus dem Gleichgewicht und nur noch schwer zu „reparieren“ ist.  

Nun könnte man argumentieren, dass Gesellschaft sowieso in ständiger Entwicklung ist. Wir sind Meister der Anpassung und gerade Unternehmen beherrschen diese Form der agilen Antwortfähigkeit recht gut. Aus neuen Herausforderungen entstehen immer wieder neue Strukturen und Verhältnisse, die Altes - frei nach Schumpeter - schöpferisch zerstören. Wenn wir diesen evolutionären Fortschrittsgedanken auf unsere Art des Wirtschaftens beziehen, so lautet die Frage also nicht „Wird es eine post-kapitalistische Gesellschaft geben?“, sondern „Wie wird sie aussehen?“  

Bei dieser Suche nach einer anderen Form des Wirtschaftens muss "post-kapitalistisch" nicht zwingend "anti-kapitalistisch" bedeuten. Alle sozialistischen oder gar kommunistischen Gesellschaftsmodelle sind als Alternativen von der Geschichte widerlegt worden. Es kann also nicht darum gehen, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern über ihn hinauszuwachsen. Als post-kapitalistisch könnte man sich eine Gesellschaft vorstellen, in der die destruktiven Tendenzen des derzeitigen Systems eingedämmt würden und darüber hinaus die Gesellschaft über den Erwerb materieller Güter hinausreichende Existenzbegründung findet, die ihren Mitgliedern einen Sinn in ihrem Dasein vermittelt.  

Wie kommen wir von quantitativen zu einem qualitativen Wachstum? Von einem Mehr, zu einem wirklich Besserem? Besser für uns, für unseren Planeten, für unsere Enkel?

Unser Tätigsein in der Welt 

Eine erste Spur führt mich zur großen Denkerin Hannah Arendt. In ihrem Werk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ befasst sich die Philosophin mit den menschlichen Grundtätigkeiten. Für Arendt sind die Krisen, in denen wir stehen, Krisen des Tätigseins. Sie unterteilt diese in drei Kategorien: Das Arbeiten (alles, was für den Lebenserhalt notwendig ist und verbraucht wird), das Herstellen (das Schaffen von überdauernden Gütern, die gebraucht werden) und das Handeln (den Umgang von Menschen miteinander, das Tun und Sprechen zum Zwecke der Gestaltung der gemeinsamen Welt). Während Arbeiten und Herstellen notwendig sind für das Leben und Überleben in dieser Welt, ist Handeln das, was den Menschen erst wirklich zum Menschen als soziales Wesen macht. Es ist das tätige In-der-Welt-Sein als viele Menschen (Pluralität), durch welches sich das jeweilige Wer des einzelnen Menschen offenbart und sich gleichzeitig in das Wir einfügt. 

Arbeiten. Herstellen. Handeln. Das sind die drei Formen, auf dieser Welt tätig zu sein. Arendts Gesellschaftskritik zielte darauf ab, dass die Arbeitsgesellschaft das Handeln im Sinne der Gemeinschaft, zugunsten von Produktion und Konsum fast zum Verschwinden gebracht hat. Wenn man bedenkt, dass diese Gedanken in den 50er Jahren zu Papier gebracht wurden, ist dies umso bemerkenswerter. Vermutlich erkannte Arendt schon früh die Tendenzen, die unser Wirtschaften in den darauffolgenden Jahrzehnten prägen sollten.  

Mit der Perspektive der drei Haltungen und der Dominanz der Hersteller und Konsumenten lässt sich auch erklären, wie es uns gelingen konnte, in der Natur etwas von uns Getrenntes zu sehen, etwas Verkonsumierbares und Verarbeitbares, schreibt Hans Rusinek in seinem lesenswerten Buch „Work-Survive-Balance“. #cheapnature 

Unternehmen sind keine Maschinen 

"Es ist schwer, nach Feierabend die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören." sagt Eckhard von Hirschhausen und kritisiert damit die Art und Weise, wie radikal verengt und isoliert wir unser Wirtschaften heute verstehen. Wir koppeln das Wirtschaften vom Sozialen und der Umwelt ab. Um zu verstehen, dass diese Logik nicht mehr funktioniert, reicht ein Blick auf das aktuelle Weltgeschehen: Die Ukraine-Krise beeinflusst unsere Produktionskapazitäten, der demografische Wandel hat Einfluss auf den Arbeitsmarkt und Wetterextreme unterbrechen Lieferketten. Ziemlich erfolgsentscheidend, oder? 

Doch selbst, wenn man die Tatsache akzeptiert, das Unternehmen eingebettet sind in politische, soziale und ökologische Umwelt(en), liegt das eigentliche Problem im mechanistischen Verständnis von Unternehmen. Im Umgang mit diesen „externen Schocks“ kann man nach diesem Verständnis Organisationen beliebig auseinander- und wieder zusammenbauen. Wir glauben, dass wir Probleme stets ingeniuersgleich lösen können. „Dieser Blick hat stets Effekte höherer Ordnung ignoriert, ausgelöst etwas durch gesellschaftlichen Wertewandel, Ressourcenknappheiten oder globale Risiken. Er hat damit auch jegliches Lernen unterdrückt, weil Abweichungen von der vorgegebenen Maschinenlogik stets ausgeblendet wurden. Unternehmen brachten sich damit in eine Art Umwelt- und Selbstentfremdung.“ (Zitat Rusinek)  

Ein zeitgemäßes Verständnis von Organisationen würdigt diese Interpendenz der verschiedenen Systeme (ökologisch, sozial, wirtschaftlich, politisch, …) und ist so komplexitätstauglich. Organisationen sind eingebettete Organismen, die aus Gesprächen und Entscheidungsprozessen und nicht nur aus Dingen und Fakten bestehen. Nur eins ist nach diesem Verständnis sicher: dass nichts bleibt, wie es ist. 

Ist das altruistisch? Nein! Gesund egoistisch. 

Selbstentfaltung und persönliche Entfaltung sind hohe Werte in unserer modernen Gesellschaft. Um aber diese individuellen Bedürfnisse zu erfüllen, bedarf die Gesellschaft selbst der Stabilität, einer eigenen Ordnung, die nur die Mitglieder selbst ihr geben können, indem sie sich für sie - und das heißt, füreinander, engagieren. Im Kern geht es um individuelle Selbstentfaltung, die sich der Tatsache bewusst ist, dass sich individuelles Glück nur in einer funktionierenden Gesellschaft finden lässt. 

So gesehen ist das „füreinander engagieren“ kein Altruismus, sondern eher ein „gesunder Egoismus“, bei dem man von sich aus gibt, damit eine Gemeinschaft entsteht, in der man selbst gerne leben möchte. Der Egoismus des Menschen, der in Gestalt der Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung die Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen befördert hat, wird so nicht in Frage gestellt. Im wirtschaftlichen Tätigsein des Einzelnen (Arbeiten, Herstellen, Handeln) steckt das Potenzial zur Selbstverwirklichung, Wirksamkeit, Weltbezug und gesellschaftlichem Zusammenwachsen. 

Das Zusammenwirken vom individuellen Streben nach Selbstentfaltung, das eingebettet ist in ein größeres Ganzes, findet sich bei Viktor Frankl und der Orientierung am Sinn. Seine Leitidee auf der Spur nach Sinn in der Situation findet man entlang der Frage:  

„Welche Handlung ist die sinnvollste – für mich und mein Umfeld?“  

 
Christoph BaderWissenswertes