Streitlust und die Kunst des konstruktiven Konfliktes
Ist eine Welt ohne Streit möglich?
Klare Antwort: NEIN.
Denn wir sind alle individuell, wie wir Dinge wahrnehmen, erleben, uns eine Meinung bilden und handeln. Diese Unterschiede oder Differenzen führen unweigerlich zum „Aufeinanderprallen widerstreitender Auffassungen, Interessen, [Ziele, Bedürfnisse] o. Ä. und daraus entstandene schwierige Situationen“ (Duden, 2023) also zu Konflikten. Konflikte können sich in einer Person (innerer Konflikt), zwischen zwei Personen oder in größere Einheiten (wie Teams, Organisationen) abspielen. Dabei liegt bereits ein Konflikt vor, wenn eine „Seite“ eine Interaktion als emotional belastend und/oder sachlich inakzeptabel empfindet (Ropers, 2002). Am Arbeitsplatz kommen Konflikte besonders häufig vor und die Lösung ist in den meisten Fällen mit viel Schmerz verbunden.
TEIL A: Was passiert aber bei einem Konflikt?
Friedrich Glasl (österreichischen Konfliktforscher) entwickelte ein Eskalationsmodell mit 3x3 Eskalationsstufen, welches den Verlauf eines Konflikts beschreibt (siehe auch Abbildung 1). Dabei gibt es drei übergeordnete Ebenen (I – III), die beschreiben, inwiefern die Konfliktparteien aus dem „Streit“ profitieren und jeweils drei Unterstufen (1 – 9), die die Handlungen der Konfliktparteien detaillierter beschreiben.
I. Win-Win: Eine konstruktive Konfliktführung und -lösung ist wahrscheinlich und alle Parteien können (noch) gewinnbringend aus dem Konflikt herausgehen. Der Schlüssel zur Lösung liegt dabei auf den dahinterstehenden, verborgenen Interessen und Bedürfnisse der Parteien.
Spannung – oder auch Harte Positionen: Hier wird die erste Verhärtung der Positionen gegenüber den anderen Parteien spürbar und Kompromissbereitschaft ist kaum mehr vorhanden.
Debatte – oder auch Debatte über die Positionen: Die Parteien argumentieren und diskutieren, ohne der anderen Partei wirklich zuzuhören oder sie verstehen zu wollen.
Taten statt Worte: An dieser Stelle wird nicht mehr viel miteinander geredet. Stattdessen initiierten die Parteien Aktionen (Taten), um ihre Interessen durchzusetzen. Handlungskonsequenzen für die gegnerische Partei werden nicht gesehen bzw. ignoriert.
II. Win-Lose: Eine Partei verliert und die andere gewinnt, wobei sich eine Partei unterwerfen muss. Eine zufriedenstellende Lösung für alle Parteien ist hier nicht mehr möglich.
Koalitionen: Es wird Unterstützung bei anderen Personen gesucht und Bündnisse gegen die gegnerische Seite gebildet.
Gesichtsverlust – oder auch Verlust des Gesichts: Es geht nun mehr darum, das Ego zu schützen bzw. das Gesicht zu wahren und/oder die gegnerische Seite bloßzustellen. Gegenseitiger Respekt nimmt stetig ab.
Drohungen: Um Druck auf die gegnerische Seite auszuüben, werden vermehrt Drohungen und Einschüchterungen eingesetzt. Hier herrscht oft eine Macht-Dysbalance und Kommunikationsregeln (wie Respekt und Akzeptanz) werden aktiv verletzt.
III. Lose-Lose: Alle Parteien verlieren und es herrscht ein offener Angriff. Eine Lösung ist meist nur noch mit einem (externen) Machteingriff einer starken Autorität/Struktur möglich.
Begrenzte Vernichtung – oder auch Begrenzter Krieg: Feindseligkeiten und Angriffe zwischen den Parteien werden offen ausgetragen. Hier gilt es schnellstmöglich eine weitere Eskalation zu verhindern.
Zersplitterung: Die Konfliktparteien fragmentieren sich und verlieren die Kontrolle über die Situation. Es wird bewusst auf die Vernichtung der Gegenparteien abgezielt.
Gemeinsam in den Abgrund: Großer Schaden wird in Kauf genommen, um die gegnerische Seite zu besiegen. Dabei kann es zur gegenseitigen Vernichtung kommen, wenn die Konfliktparteien nicht voneinander getrennt werden.
So weit, so problematisch…
TEIL B: Wie kommen wir nun zu einer Lösung des Konflikts?
I. Klarheit über den Konflikt
Der erste Schritt ist sich dem Konflikt bewusst zu sein und sich Klarheit zu verschaffen. Denn Konflikten laufen doch oft subtil ab, da sich oft Konfliktscheu breitmacht und der Konflikt lieber ignoriert wird als sich seinen oder anderen Bedürfnisse stellen zu müssen.
Welche Empfindungen habe ich?
Welche Position habe ich eingenommen?
Welches Bedürfnis steckt dahinter?
Und was ist meine Rolle in dem Konflikt?
II. Einordnung im Modell
Im zweiten Schritt kann die Stufe bestimmt werden, auf der sich der Konflikt aktuell abspielt. Das ist ein zentraler Schritt, denn daraus wird abgeleitet, welche Methode in der Situation am „lösungsorientiertesten“ ist.
Auf welcher Eskalationsstufe spielt sich der Konflikt aktuell ab?
Welche Charaktereigenschaften hat der Konflikt?
Wie agieren die Konfliktparteien miteinander?
III. Wahl der Lösungsansätze
Der Lösungsansatz für einen Konflikt hängt stark von der Art des Konflikts, den beteiligten Parteien und dem Kontext ab. Es gilt, je früher ein Konflikt offen und lösungsorientiert bearbeitet wird, desto „leichter“ ist es eine konstruktive Lösung zu finden, die für alle gewinnbringend ist. Gleichzeitig wird es mit steigender Eskalationsstufe schwerer für die Parteien eine konstruktive Lösung zu finden und unversehrt aus dem Konflikt zu kommen. Die Unversehrtheit aller Beteiligten ist das oberste Ziel der Konfliktlösung und daher gilt: Je höher die Eskalationsstufe, desto einfacher und schneller müssen die Lösungen sein.
In Abbildung 2 sind relevante Ansätze zur Konfliktlösung beschrieben, sowie die Dauer der Umsetzung, Anwendbarkeit bzw. Leichtigkeit der Implementierung und der Bezug zu den entsprechenden Eskalationsstufen aufgeführt. Neben den Genannten Ansätzen sind präventive Trainings zu Kommunikation & Konfliktlösung empfehlenswert und in einer Konfliktsituation aktives Zuhören und gewaltfreie Kommunikation effektive Mittel, um ein Konflikt gelingend zu lösen. Wenn es jedoch wirklich eskaliert sein sollte, ist die ausdrückliche Empfehlung eine neutrale, geschulte Person hinzuzuziehen, um eine Mediation oder gar ein Schlichtungsverfahren zu führen. Auch der Prozess nach einem Konflikt, d. h. die Vergebung und Versöhnungsphase sind von zentraler Bedeutung, da hier die weitere Beziehung und Zusammenarbeit zwischen den Parteien definiert wird.
Fazit
Streiten ist ganz normal! Aber es kommt auf das rechtzeitige und richtige Kommunizieren an. Wird frühzeitig und lösungsorientiert das Gespräch gesucht können alle davon profitieren. Denn Streit ist eine Chance für Wachstum – ganz persönlich, im Team und in der gesamten Organisation.