Der Normen-Scheinwerfer: Ein Werkzeug zur Arbeit an informellen Strukturen in Deinem Team
Die informellen Mächte: Das könnte auch eine packende Netflix Thriller-Serie sein. Du musst aber kein Serienjunkie sein, um mehr über die Kraft von informellen Mächten zu erfahren. Wir möchten Dir ein Werkzeug vorstellen, mit dem Du diesen Kräften auf die Schliche kommen und diese konstruktiv nutzen kannst.
Normen sind informelle Strukturen
Wenn etwas in Deinem Team nicht beschrieben oder festgelegt ist, ist es noch lange nicht ohne Einfluss. Die informale Ebene prägt die Zusammenarbeit viel stärker, als Du glaubst und gibt dem Team ebenfalls Struktur und Rahmen. Wenn wir uns auf die Suche nach diesen Einflussfaktoren machen, kommen wir an sozialen Normen nicht vorbei. Normen verstehen wir hier, nach dem Bielefelder Soziologieprofessor Stefan Kühl als „stabile Verhaltenserwartungen an Organisationsmitglieder, über die nicht offiziell entschieden wurden, sondern die sich langsam durch Wiederholungen und Imitationen eingeschlichen haben“. Der Begriff stammt von „norma“ (Winkelmaß, Regel, Vorschrift). Normen helfen uns bei der Orientierung im Alltag, beim Abwägen des eigenen Handelns und bei der Einschätzung des Handelns von anderen.
The way we do things here …
Wir betrachten Normen nicht als Eigenschaften einzelner Menschen, sondern als Merkmale der Interaktion zwischen den Akteuren. Auch, wenn man Normen nicht wirklich formal einklagen kann („Sei gefälligst teamorientiert, sonst bis Du raus!“), wird der Bruch mit ihnen sanktioniert. Dass in den Meetings mit der Chefetage zum Abschluss ein Aktionsplan erarbeitet wird, ist nirgendwo nachzulesen, wenn das aber gelebte Kultur ist, muss sich die neue Mitarbeiterin an diese Norm halten oder mit irritierten Blicken und Fragen leben. Wenn sie dann fragt, warum wir eigentlich immer diese Pläne machen – selbst wenn wir dort nur drei Aktionen definieren, dann bekommt sie zu hören: „So läuft das eben bei uns.“
Zielsetzung des Normen-Scheinwerfers: Sich der informalen Strukturen bewusst werden
In unserer Beratungsarbeit lernen wir immer wieder, dass substanzieller Wandel dann möglich ist, wenn strukturelle und nicht nur situative Veränderungen vorgenommen werden. Die Tatsache, dass Normen Strukturen im Untergrund sind, macht es so schwer, diese zu erkennen. Für Organisationsmitglieder ist das meist kniffliger als für Außenstehende („die allseits bekannte Betriebsblindheit“). Der Sinn und Zweck des Werkzeugs ist somit, gemeinsam die Normen erst einmal auf die Bühne zu bringen. Erst dort können sie von allen betrachtet und besprochen werden. Dieser Prozess macht den Beteiligten die tiefliegenden, machtvollen Strukturen bewusst, erhöht die Transparenz und macht den Umgang damit erst bearbeitbar.
So funktioniert der Normen-Scheinwerfer
Phase 1: Was Normen sind und wie sie wirken
Zu Beginn empfehlen wir eine Begriffsklärung. Wovon sprechen wir, wenn wir über Normen sprechen? Wie wirken sie? Was ist das Besondere? Wichtig ist gerade zu Beginn die Betonung, dass es sowohl funktionale, aber eben auch dysfunktionale Normen gibt. Durch diesen Einstieg werden Vorbehalte in der Gruppe reduziert – es geht bei Normen eben nicht nur um etwas Negatives. Außerdem sollte betont werden, dass Normen nichts Unnatürliches sind. Im Gegenteil: Es wäre eher komisch, wenn keine Normen im Rahmen der Zusammenarbeit entstanden wären. So sollte die Gruppe nun bereit sein, ihre Scheinwerfer auf das Informelle in der Zusammenarbeit auszurichten. Eine spielerische, neugierige Herangehensweise, um „sich selbst auf die Schliche“ zu kommen, ist hier hilfreich und nützlich. Der Einstieg sollte nicht unnötig schwer, kompliziert oder belastend wirken.
Phase 2: Die Scheinwerfer einstellen
Nun geht es in die Einzelarbeit. Die Beobachtungen werden vielfältiger und die Beschreibungen facettenreicher, wenn jede*r für sich analysiert. Gruppenarbeit würde hier möglicherweise die Ergebnisse „weichspülen“, da manches direkt (weg)diskutiert werden könnte.
Die Aufgabenstellung:
Blicke zurück und suche Situationen, Interaktionen oder Entscheidungen die viel über Eure Normen aussagen. Schreibe diese Situationen auf und notiere Dir dazu, warum die Situationen so typisch sind.
Betrachte nun Deine Sammlung aus Frage 1 und weite den Blick ein wenig: Wo erkennst Du Gemeinsamkeiten? Wo sind „rote Fäden“ zwischen den Situationen?
Formuliere nun 3-5 dieser „roten Fäden“ als Normen (Beispiele: Du sollst …; Besser nicht …, ansonsten …; Achte stets …; …). Sei gerne mutig und provokant, spitze die Formulierungen zu.
Phase 3: Teilen, sammeln, definieren
Jetzt werden Kleingruppen (3 bis 4 Teilnehmende) gebildet. Das Kriterium für die Zusammenstellung der Gruppen ist die vermutete Ähnlichkeit der Sichtweise. In den Kleingruppen werden die Ergebnisse nacheinander geteilt. Es empfiehlt sich, ausschließlich die Normen zu teilen und nur bei Bedarf ein Situationsbeispiel zu benennen. Ansonsten kann die Übung schnell ausufern und zu viel Zeit geht verloren. Ziel für die Kleingruppen ist die Erarbeitung der 3-5 stärksten Normen. Diese werden ausformuliert und gehen mit in die nächste Runde.
Im Plenum werden die Ergebnisse nun präsentiert und die wichtigsten Normen erarbeitet und visualisiert. Externe (dies können auch vorab bestimmte Mitglieder des Systems sein) können hier als Beobachter periodisch Feedback darüber geben, welche Normen im Entscheidungs- und Arbeitsprozess “live“ wahrnehmbar sind. Die wichtigsten Normen sind nun allen präsent. Es geht nun noch einmal in eine Einzelarbeit um die Normsetzer bzw. Repräsentanten zu nennen. Jede*r Teilnehmende notiert also, wer eine Norm setzt bzw. sie am stärksten repräsentiert. Das Erarbeitete wird ebenfalls im Plenum visualisiert.
Phase 4: Bezug zu unserer Zielrichtung
Nun geht es im Plenum um die gemeinsame Sichtung und Sammlung der Erkenntnisse. Hilfreiche Fragen für diese Phase:
Welche Normen sind funktional oder dysfunktional in Bezug auf unser Ziel? Welche neutral?
Wer wird besonders oft genannt? Was heißt das?
Welche Erkenntnisse sind besonders überraschend?
Was sagt es über unsere Kultur aus?
Bei welchen Normen sehen wir großen Veränderungsbedarf?
Was kann so bleiben, wie es ist?
Wichtig ist hier, den Erkenntnisprozess in den Vordergrund zu stellen und nicht vorschnell Aktionen zu definieren (auch wenn Einzelne das vielleicht möchten).
Phase 5: Reflexion „aus dem Hubschrauber“
Zum Abschluss lädst Du die Kleingruppen noch einmal zu einem kurzen Ausflug in die „Hubschrauber-Perspektive“ ein. Was heißt das? Die Teilnehmenden sollen die Arbeitsphasen nochmals auf der Meta-Ebene betrachten – unabhängig von den konkreten Ergebnissen. Mögliche Leitfragen:
Wie ist es uns im Arbeitsprozess ergangen?
Was fiel uns leicht/schwer?
Was sagt das über uns aus?
Wie geht es uns jetzt gerade?
Die Ergebnisse werden in offener Runde geteilt. Die Abschlussfrage lautet:
Was könnte ein nächster Schritt sein?
Hierzu werden die Vorschläge gesammelt, priorisiert und eine Vorgehensweise vereinbart.