James Carse, Wayne Greztky und der Wert des langen Spiels
Wie viele Deiner Neujahrsvorsätze sind übriggeblieben? Oder nimmst Du Dir schon gar nichts mehr vor? Jahr für Jahr siegt unser kurzfristiges Denken über die Langfristigkeit. Schaut man sich Statistiken dazu an, überleben die meisten unserer Vorsätze nicht mal den Januar. Unsere Gehirne werden durch sofortige Befriedigung verführt, statt für größere Ziele investieren zu wollen. Wir wissen um den Wert, handeln aber anders. Wir spielen zwei Spiele mit unterschiedlichen Regeln: Das kurze und lange Spiel.
Das kurze Spiel
Im kurzen Spiel wird das, was mühsam erscheint, liegen gelassen. Lieber tun wir etwas, das schnelle Befriedigung verspricht oder besonders leicht ist. Im kurzen Spiel geht es um sichtbare und unmittelbare Vorteile:
Warum das wichtige Telefonat führen, wenn ich stattdessen bei einer Serie entspannen kann?
Warum das Geld zur Seite legen, wenn ich stattdessen das neue Kleid kaufen könnte?
Das Reizvolle am kurzen Spiel? Im Hier und Jetzt sind die Kosten der Entscheidung völlig unbedeutsam. Du erkennst die Kosten erst, wenn sie zu groß werden, um sie zu ignorieren. Wenn die Wochen zu Monaten und Monate zu Jahren werden, führt das kurze Spiel zu katastrophalen Ergebnissen. Es ist nicht der einmalige Kompromiss der zählt, sondern die Summe an Kompromissen, die den Unterschied macht.
Das lange Spiel
Im langen Spiel zahlst Du im Heute kleine Preise, um das Morgen vom morgen angenehmer zu machen. Von außen erscheint das lange Spiel ziemlich langweilig:
Geld sparen und für ein großes Ziel investieren
Yoga für meine Flexibilität, anstatt Netflix zu schauen, …
Der erste Schritt im langen Spiel ist am schwierigsten, denn dieser ist spürbar negativ. Deshalb ist es so schwer, langfristig zu spielen. Wir sehen die kleinen Schritte selten, wenn wir nach großen Ergebnissen streben.
Entscheidende Schritte weiterdenken
Die Geschichte des besten Eishockeyspielers aller Zeiten gibt uns eine andere Perspektive auf das lange Spiel. Es geht dabei nicht um den langweiligen, disziplinierten, spaßbefreiten Planer. Klugheit, Gespür und vordenken statt nachzulaufen sind die Attribute des langen Spiels.
Wayne Gretzky ist der besagte Eishockey-Spieler. Der Kanadier verkörpert in etwa so etwas wie Maradona, Pele und Messi in einer Person – nur eben im Eishockey. Als er einmal nach seinem Erfolgsrezept gefragt wurde, antwortete er: „Mein Vater hat mir von klein auf ein Prinzip beigebracht: Laufe dahin, wo der Puck als Nächstes hinkommen wird und nicht dahin, wo er gerade ist.“
Dieser Satz bringt die Essenz des langen Spiels auf den Punkt. Wenn Du dahin läufst wo alle anderen hinlaufen, solltest Du nicht überrascht sein, die gleichen Ergebnisse zu erzielen die alle anderen erzielen.
Je länger Du das kurze Spiel spielst, desto schwieriger wird es, Änderungen vorzunehmen, und desto höher ist die Rechnung, mit der Du konfrontiert wirst, wenn Du Änderungen vornehmen möchtest. Je länger Du das lange Spiel spielst, desto einfacher ist es zu spielen und desto höher sind die Belohnungen – der bekannte Zinseszinseffekt.
Sicher können wir uns nicht einfach von allem „abmelden“ und überall lange Spiele spielen, aber: In beiden Spielen verstärkt die Zeit den Unterschied zwischen Langzeit- und Kurzzeitspielen.
Die Frage, über die Du nachdenken kannst: Wann und wo kann und möchte ich ganz bewusst ein Langzeitspiel spielen? Greife Dir einen Bereich Deines Lebens heraus und konzentriere Dich im ersten Schritt auf diesen Bereich.
Der größere Zusammenhang
Kurze und lange Spiele werden auch in unseren gesellschaftlichen Systemen gespielt. In seinem lesenswerten Buch nennt James Carse dieses Phänomen “endlich und unendlich“. Bei endlichen Spielen geht es ums Gewinnen. Unendliche Spiele spielt man, um im Spiel zu bleiben.
Endliche Spiele zeichnen sich dadurch aus, dass es einen definierten Anfang und ein festgelegtes Ende gibt. Die Regeln und das Spielfeld sind klar, und „Schiedsrichter“ überwachen die Einhaltung der Regeln. Jedem ist klar, was zu tun ist, um das Spiel zu gewinnen, wie etwa beim Fußball: Wer mehr Tore als der Gegner schießt, gewinnt das Spiel.
Bei unendlichen Spielen ist dies anders: Sie werden von bekannten und unbekannten Spielern gespielt. Es gibt keine genauen oder vereinbarten Regeln. Wie jeder Spieler spielt, bleibt komplett ihm überlassen. Jeder Spieler kann jederzeit seine Spielweise ändern. Die Spiele laufen ohne zeitliche Begrenzung. Es gibt keine Ziellinie, keinen Schlusspfiff und auch keinen Zeitablauf.
Die Wirtschaft als unendliches Spiel
Die Wirtschaft ist naturgemäß ein unendliches Spiel. Es gibt keinen von vornherein festgelegten Anfang, keine Mitte und kein Ende der Wirtschaft. Es sind nicht immer alle Spieler bekannt und es können jederzeit neue hinzukommen. Sämtliche Spieler bestimmen ihre Strategien und Taktiken selbst. Es gibt kein festes Reglement, zu dem sich alle bekennen – abgesehen vom jeweils geltenden Recht (und selbst das kann sich von Land zu Land unterscheiden).
Im unendlichen Spiel der Wirtschaft bemisst sich der wahre Wert einer Organisation daher danach, „spielfähig“ zu bleiben. Es sollte für Führungskräften darum gehen, die Fähigkeit des Unternehmens zu erhöhen, weiterhin Erfolg zu haben – und zwar nicht nur zu ihrer jeweiligen Amtszeit, sondern weit darüber hinaus.
Es gibt leider viele Menschen, die in das unendliche Spiel der Wirtschaft mit der Einstellung und inneren Haltung eines endlichen Spiels gehen. An verantwortungsvoller Position und ausgestattet mit formaler Macht spielen so ganze Unternehmen endlich und scheiden folgerichtig auf Sicht aus. Denn ein Spiel mit den falschen Regeln zu spielen führt zwangsläufig zum Scheitern.
“Someone’s sitting in the shade today because
somebody planted a tree a long time ago”- Warren Buffet