Großmut – die kostspielige Tugend
In letzter Zeit ist mir das Wort Großmut immer wieder durch den Kopf gegangen. Ein schönes Wort, wie ich finde. Auch das, was dahinter steckt, ist sehr schön. Der Duden nennt es auch „edle Gesinnung“. Großmut sei die Charaktereigenschaft einer Persönlichkeit, die Handlungen gegen die eigene Person vergeben kann. Wenn wir uns in der Gesellschaft umschauen, sind wir heute wohl tendenziell eher das Gegenteil von großmütig. Über das, was uns „angetan“ wird, im Großen wie im Kleinen, sind wir dauerempört. Wir sind eher kleinmütig wie es schon den Karthagern nach der Niederlage gegen die Römer nachgesagt wurde. Aber nur Unmut zeigen ist nicht wirklich mutig und hat mit Großmut gar nichts zu tun.
Die Erfahrung von Unmut ist Teil jeder menschlichen Biographie. Im Laufe eines Lebens von durchschnittlicher Dauer wird jeder Mensch an anderen schuldig und erfährt seinerseits Verletzungen durch sie, für die es keine moralische Rechtfertigung gibt. Wie wir mit dieser Erfahrung umgehen, trägt entscheidend zum Gelingen unseres Lebens und Zusammenlebens bei. Denn nicht nur das Unrecht, auch unsere Reaktion darauf kann unser Verhältnis zu uns selbst und unsere Beziehungen zu anderen nachhaltig prägen und schlimmstenfalls ein Leben lang belasten.
Vor mehr als 2000 Jahren versuchte der griechische Philosoph Aristoteles, Antworten auf die uralte Menschheitsfrage nach dem glücklichen Leben zu finden. Mit der Nikomachischen Ethik gelang es ihm, eine Grundlage der praktischen Philosophie zu legen. Angesichts des zunehmenden Werteverfalls wirkt Aristoteles’ Tugendethik auch heute noch erstaunlich aktuell. Großmut gilt schon seit der Antike als sehr wichtige Tugend. Die Großmut einiger Herrscher wurde sogar durch einen Beinamen gewürdigt, wie z.B. bei Johann Friedrich dem Großmütigen von Sachsen, welcher trotz langer Gefangenschaft nie seinen positiven Blick auf die Welt verlor und noch im Gefängnis den Grundstein für eine der bedeutendsten Universitäten unseres Landes legte.
Der erste Schritt zur Großmut ist die Sanftmut aber es ist viel leichter, sich zu empören als zu vergeben, viel leichter zu verharren als zu akzeptieren und loszulassen, viel leichter in einer Opferhaltung zu sein als auftretende Probleme zu transzendieren, das heißt in ihnen ein Potenzial für Entwicklung und Wachstum zu sehen. Viktor Frankl sagte: „Der Mensch ist das einzige Wesen, das in der Lage ist, sich selbst zu transzendieren.“ Wir sind also in der Lage, aus Problemen Lösungen zu entwickeln, aus Krisen zu lernen und hierdurch zu wachsen.
Wie schaffen wir es also, diese so wertvolle Kompetenz zu nutzen und großmütiger zu werden?
Wege dorthin können sein:
durch Reflexion verschiedene eigene Bewusstseinszustände wahrnehmen
die Fähigkeit fördern, zwischen verschiedenen Bewusstseinszuständen zu modellieren
sich als integraler Bestandteil eines größeren Ganzen zu begreifen
die Fähigkeit nutzen, auftauchenden Problemen erstmal mit Neugier, Interesse, Absichtslosigkeit und Offenheit zu begegnen
Dauernde Empörung führt zu Abstumpfung, Großmut hingegen zu echter Mitmenschlichkeit.