Liebes Tagebuch...
Trauma
Liebes Tagebuch,
mir geht es heute nicht gut – gar nicht gut. Ich weiß ehrlich nicht, wo und wie ich anfangen soll, ob ich das, was geschehen ist, überhaupt in Worte fassen kann. Ich habe versucht es aufzuschreiben und die Worte, die hinter diesen Verletzungen stehen, sind schwer zu ertragen, machen sie es doch noch realer und unfassbarer.
Ich fühle mich verletzt, klein, zertrampelt. Und ich spüre in mir so eine Wut, einen Hass – das ist so groß, ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Am liebsten möchte ich um mich schlagen, etwas zerstören – ja sogar vernichten. Und den Menschen, die mir wehgetan haben, denen wünsche ich, dass sie so leiden wie ich es tue.
Schock
Liebes Tagebuch,
seit meinem letzten Eintrag ist etwas Zeit ins Land gegangen, ich konnte einfach nicht schreiben, ich konnte gar nichts. Ich sitze hier und starre auf die Küchenuhr, höre ihr Ticken und sehe, wie die Zeit vergeht. Nur für mich nicht, meine Uhr ist stehengeblieben.
Wann beginnen meine Zeiger sich wieder zu drehen?
Lähmung und Verneinung
Liebes Tagebuch,
ich bin so müde, so erschöpft.
Wann hört das auf? Ich will das nicht mehr, ich will wieder leben. Aber wie? Ich fühle nichts, außer Hass und Wut. Sieht so der Rest meines Lebens aus?
Lösungen suchen
Liebes Tagebuch,
heute habe ich eine Dokumentation gesehen. Es ging um einen großmütigen Menschen. Und irgendwie lässt es mich nicht los. Diese 90 Minuten haben etwas mit und in mir in Bewegung gesetzt. Ich habe mir die letzten Einträge hier angesehen – und es hat mich erschreckt. Das ich zu so extremen Gefühlen fähig bin. Das bin nicht ich und so will ich auch nicht sein. Ich weiß nicht wie, aber es muss anders gehen.
Akzeptanz
Liebes Tagebuch,
schon wieder ist etwas Zeit vergangen, aber mir geht es besser. Ich habe viel nachgedacht. Über die letzten Ereignisse, über mich aber auch über die anderen. Ich habe versucht, hinter die „Kulissen“ zu schauen, auf die andere Seite zu sehen. Ich verstehe nicht alles und ich glaube, ich kann (und will) auch nicht alles verstehen – aber alleine der Fakt des Schauens hilft. Es hat den Sturm in mir bezwungen. Es ist Ruhe da.
Transzendenz
Liebes Tagebuch,
ich habe seit langer Zeit mal wieder aus ganzem Herzen gelacht. Das tat gut. Es ist mittlerweile Sommer und ich fühle mich gut. Wenn ich in die Vergangenheit blicke, auf mich und was geschehen ist, dann kann ich da hin schauen. Ich habe angefangen, meine Erlebnisse aufzuschreiben. Das hilft, einfach den Ablauf beschreiben, es versuchen nüchtern zu betrachten (was mir noch nicht immer gelingt) und es als etwas zu sehen, was mir passiert ist. ES IST HALT SO. Ich und niemand anders kann das ändern oder ungeschehen machen. Ich muss, und ich weiß ich KANN, damit leben. Ich schaue nach vorne. In mir ist kein Hass mehr, das WARUM frisst mich nicht mehr auf. Das ist ein sehr befreiendes Gefühl.
Ich möchte nicht nur anerkennen, was mir geschehen ist, ich möchte meine Geschichte erzählen, andere inspirieren und hoffe so, dass mein Leid und Schmerz helfen, dass es anderen nicht so geht wie mir. Ich sehe inzwischen einen Sinn in dem was geschehen ist, habe daraus gelernt und mich entwickelt. Ich kann das alles aus einer anderen Perspektive sehen. Mir ist es wichtig, etwas weiterzugeben. Ich möchte, dass die Menschheit etwas daraus lernt, nämlich dass wir einander (auch im großen Schmerz) die Hand reichen können. Dass Verbitterung nicht über die Freude am Leben siegt und Großmut entstehen kann.