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Blogbeiträge

Ich wäre so gerne ein Genie!

 

Foto von Jr Korpa auf Unsplash

 
 

Ich wäre so gerne ein Genie! Ich hätte tausend neue Ideen, für jedes Problem hätte ich sofort einen Einfall, wie man es lösen kann. Vielleicht wäre ich sogar der nächste Da Vinci, Picasso oder Mozart, ein umjubelter Star in der Kunst- oder Musikwelt. Ach, Genie sein, das wäre doch schön! Vielleicht hast Du solche oder ähnliche Gedanken auch schon einmal gehabt.

Kreativität in der Wissenschaft 

Doch was macht eigentlich ein Genie zum Genie? Die meisten, uns gängig als Genie bekannten Personen, sind vor allem durch ihre außergewöhnliche Kreativität gekennzeichnet. Und während jede:r sich etwas unter Kreativität vorstellen kann, so schwer tut sich die Wissenschaft, Kreativität zu fassen, zu definieren und zu erforschen.  

Aus der Wissenschaft wissen wir, dass Kreativität eine Persönlichkeitseigenschaft ist, dass sie aber keine Eigenschaft ist, die wir einfach so haben oder nicht, sondern eine sog. dimensionale Eigenschaft. Jede:r von uns ist in irgendeiner Form kreativ, nur die einen sind es mehr, die anderen sind es weniger. Auch verändert sich dies im Laufe des Lebens und kann trainiert werden. Aber was ist denn nun diese Kreativität?  

Was ist neu?  

Ansätze, Kreativität zu definieren, gibt es viele. Der Psychologe Frank Barron definiert Kreativität als Fähigkeit, etwas Neues zu erschaffen. Doch wann ist etwas „neu“? Ist das Gemälde einer Landschaft in diesem Sinne kreativ? Schließlich war die Landschaft bereits vorher da und wurde „nur“ abgemalt. Und selbst wenn eine Landschaft ohne reale Vorlage gemalt wurde, existieren dann die Bestandteile, Bäume, Wiesen, Flüsse, Seen, Berge, nicht auch bereits vorher? Hat der:die Schriftsteller:in, die einen Kriminalroman schreibt, etwas Neues geschaffen, wenn sie über Personen wie Dich und mich schreibt, Morde, wie sie überall auf der Welt vorkommen, an real existierenden Orten? Und wie sieht es aus, wenn sogar real existierende Vorlagen verwendet wurden, Geschichten über echte Kriminalfälle? Und wie sieht es im Bereich der Phantastik aus? Verwenden Autor:innen doch auch hier meist Vorlagen aus der Mythologie. Wo verläuft die Grenze des Neuen in der Kunst? 

Spätestens im Bereich der Erfindungen wird es immer schwerer, eine Grenze zu ziehen. So handelt es sich um einen Prozess stetiger Weiterentwicklung von einem Objekt zum nächsten, in dem eine Person oder ganze Teams jeweils nur eine immer stärkere Veränderung vornehmen. Wann hat in diesem Prozess eine einzelne Person etwas Neues geschaffen? Und sobald Du diese Grenze gefunden hast, komme ich dazu, und ziehe eine andere Grenze und wir müssen einen Kompromiss ausdiskutieren, Argumente für verschiedene Grenzen finden. Dann wird es noch viel komplizierter. Barron verwendete “neu” synonym zu “originell”. Doch auch hier bleibt die Frage, wer entscheidet, ab wann etwas als originell zu bewerten ist.  

Kleine und große Kreativität  

Ein weiterer Ansatz besteht darin, Kreativität in Big C und Little C zu unterscheiden, wobei Little C die alltägliche Kreativität beschreibt, mit der wir die kleinen Probleme des Alltags lösen, neue Rezepte ausprobieren oder uns Geschichten ausdenken. Genauso zählt dazu aber auch die Musik, die wir für uns privat spielen. Big C oder auch artistische Kreativität beschreibt eine Form der Kreativität, die verändert, wie Menschen fühlen, denken oder sogar leben, indem wir ein besonderes Talent oder eine besondere Fachkenntnis einsetzen. Nach dieser Unterscheidung wäre Da Vinci, wären seine Werke nie veröffentlicht worden und die Mona Lisa oder die Madonna in einem florentinischen Keller zusammen mit seinen gesamten Aufzeichnungen vergessen, also kein Genie, sondern maximal ein Alltagskünstler? Gleiches gilt für Picasso oder Dali. Und hätte Mozart seine Musik nur für sich gespielt, so wären sie weniger kreativ gewesen, weil sie nicht für andere gewirkt hätten? Und sind seine nicht veröffentlichen Werke damit automatisch weniger kreativ als seine veröffentlichten? Bemisst sich die Kreativität eines Werkes und des Menschen dahinter also vorrangig an den Rezipienten?  

Wie sehr ist Kreativität, die laut Wissenschaft doch eigentlich eine Persönlichkeitseigenschaft ist, damit doch abhängig von der Bewertung durch andere Personen, die die Taten und Werke von Dir gerade als kreativ oder eben als nicht kreativ bewerten? Denn was ist mit denjenigen Dingen, die doch zumindest halbwegs öffentlich stattfinden, sodass Menschen sie sehen könnten, sie aber nicht der Bewertung als Kunst oder Kreatives entsprechen. Während in vielen Bereichen der modernen Bildhauerei und bildschaffenden Kunst immer mehr Menschen zumindest in meinem Umfeld zwar sagen: „Ich verstehe es nicht, aber es ist halt Kunst.“ und dem Werk an sich damit seine Bewertung als Kreativität trotzdem zugestehen, gibt es das in der digitalen Welt weniger.  

Kreativität in anderen Medien  

Verschiedenste Computerspiele bieten heute die Möglichkeit, in ihrem Rahmen Welten, Gebäude, Landschaften und vieles mehr in unterschiedlichen Freiheitsgraden zu gestalten. Minecraft, Anno, Simcity, Planet Zoo oder Sims, um nur einige Beispiele zu nennen. Viele Spieler nutzen die bestehenden Möglichkeiten und reizen sie bis an jede technische Grenze aus, um beeindruckende Kreationen zu erschaffen. Diese werden zwar häufig mit der entsprechenden Community geteilt, und während hier zwar vieles als beeindruckend bewertet wird, bleibt die Frage: Ist das Kreativ? Ist das neu? Ist das hinter zu verschlossenen Türen, um große Kreativität zu sein? Oder fehlt hier für eine neue Form der Kunst einfach nur noch das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein? Oder ist es vielleicht doch egal, ob das Ergebnis meines Handelns eine, hundert, hunderttausend oder einfach keine Person rezipiert hat?  

Und während es hier häufig im Ergebnis um Ästhetik und optische Schönheit geht, lässt sich Kreativität als die Fähigkeit, etwas Neues zu erschaffen, an noch viel mehr Stellen finden. Wie viel Kreativität steckt darin, eine Programmierung gut zu überlegen und entsprechend strukturiert aufzubauen, im Problemlösen für verschiedene Funktionen eines Programms? Und wie viel Kreativität steckt in Personen, die sich ein bereits bestehendes Programm oder Computerspiel anschauen, überlegen, welche zusätzlichen Funktionen es haben sollte und dafür kleine Add-On-Programme schreiben, das sog. Modden?  

Das Verständnis für Kreativität  

Meine Bewertung von Kreativität endet oft dort, wo ich etwas nicht mehr verstehe. So berichtete mir ein Freund letztens von einem bestimmt genialen neuen Aufbau eines Experiments in seiner Physik-Fakultät, um einen bestimmten Effekt nachzuweisen. Warum dieser Aufbau jetzt aber notwendig war, was der kreative Aufbau bewirkte, was neu im Vergleich zu vorherigen Experimenten war oder geschweige denn, was das Experiment hätte nachweisen sollen, habe ich leider nicht verstanden. Entsprechend wertete ich dies kaum als kreative Leistung.  

Warum muss Kreativität überhaupt abhängig sein von der Bewertung der anderen. Warum muss für große Kreativität überhaupt jemand ein Werk gesehen haben, außer mir selbst? Warum ist relevant, wie viele andere Leben meine Kreativität verändert, und nicht, wie sehr meine Kreativität mein Leben verändert? Vielleicht sollte ich mir nicht wünschen, ein Genie zu sein, denn vielleicht will ich auch nur diese Bewertung der anderen. Vielleicht sollte ich mir eher wünschen, die Kreativität unabhängig der anderen in meinem Leben mehr wahrzunehmen, wo sie bereits ist, und neue Wege gehen, wo ich neue Wege entdecke. Und vielleicht kann ich ganz unabhängig von meinem Verständnis meinen Freund beglückwünschen, nicht zu seiner Leistung, die ich dann bewerte, sondern dass er seine Kreativität gefunden hat, die ihn für sich weiterbringt. Was ist mit Dir? Welche Kreativität willst Du für dich entdecken?