Wie wir lernen, eigene Entscheidungen zu treffen
“Wie stark soll ich mich in die Berufswahl des Kindes einbringen?” – Dass sich Eltern diese Frage stellen, erleben wir im Rahmen der Berufsorientierung häufig. Sie sind sich unsicher, ab wann es zu viel ist und kontrollierend wirkt – oder aber, ab wann es zu wenig ist und der Jugendliche sich ggf. bei der Berufswahl und den damit verbundenen Entscheidungen allein gelassen fühlt.
Neueste Studien zeigen, dass Eltern und Jugendliche im Berufsorientierungsprozess zusammenarbeiten und Jugendliche es durchaus schätzen, dass sie mit ihren Eltern über das Thema “Berufs- und Studienwahl” sprechen können. Diese Gespräche und das zugrundeliegende Vertrauen sind eine wichtige Basis, da sie Eltern ermöglichen, viel über die zukünftigen beruflichen Wünsche, Vorstellungen aber auch Fragen des Kindes zu erfahren. Damit dieser vertrauensvolle Austausch gelingt, sind Geduld und Zurückhaltung der Eltern gefragt. Vor allem auch, um den Überlegungen oder Vorstellungen des Jugendlichen ausreichend Raum zu geben.
Eigenständig zu sein und die Welt selbstständig zu erkunden, sind wichtige Bedürfnisse und eine prägende Lernaufgabe von jungen Erwachsenen, die ihnen keiner abnehmen kann. Greifen Eltern hier durch zu viel – auch gut gemeinte – Unterstützung ein, wird die gesunde Entwicklung der Selbstwirksamkeit des jungen Erwachsenen behindert. Selbstwirksamkeit entsteht, wenn der Erfolg den eigenen Kompetenzen oder Anstrengungen zugeschrieben wird. Das heißt, der Jugendliche ist sich sicher, eine Aufgabe selbst gemeistert zu haben.
Aus dieser Lernerfahrung entsteht die erwartete Selbstwirksamkeit, d.h., das Vertrauen der Jugendlichen darin, auch zukünftige Situationen auf Basis der eigenen Kompetenzen bewältigen zu können. Beides sind sehr wichtige Voraussetzungen für Selbstständigkeit und Eigenverantwortung.
Wie kann gelungene Unterstützung seitens der Eltern nun aussehen?
Den Jugendlichen fragen und hinhören
Hilfreiche Fragen sind: „Was brauchst du von uns? Was möchtest du? Was hilft dir?“. So formuliert der Jugendliche selbst, welche Unterstützung oder Hilfestellung er oder sie braucht. Um diese anbieten zu können, ist es sehr wichtig, den Kindern aufmerksam zuzuhören, ihre Perspektiven ernst zu nehmen und sich diese einzulassen.
So können Eltern beispielsweise Ideen einbringen, die sie aufgrund ihrer Berufserfahrung haben oder verschiedene Möglichkeiten des Berufseinstiegs aufzeigen. Hier können Eltern durch Erfahrung und Weitsicht unterstützen und ihren Kindern Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume aufzeigen.
Das Reflektieren eigener Ängste und Wünsche
Ängste sind manchmal wichtige Wegweiser und haben eine hohe Schutzfunktion, doch sind sie an dieser Stelle keine guten, elterlichen Berater, denn die Ängste der Eltern können sich auf die Kinder übertragen. Daher ist es wichtig, sich der eigenen Ängste bewusst zu werden, sich zu informieren (und dadurch ggf. Ängste revidieren) und sich im Vertrauen üben. Welche Schritte hat ihr Kind bisher schon gemeistert? Welche Eigenschaften bringt es mit, die ihm/ihr auch in der Entscheidung der Ausbildungs-/Studienwahl helfen werden?
Neben Ängsten, gilt es auch, die eigenen Wünsche zu hinterfragen. Sind es eigene Lebensvorstellungen oder Wünsche bezogen auf das Berufsleben, die nun versucht werden dem Kind “schmackhaft” zu machen? Auch hier ist es wichtig anzuerkennen, dass das Kind eigene Wünsche und Vorstellungen von sich und seinem Leben hat, die deutlich von denen der Eltern abweichen können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es vor allem Aufmerksamkeit hinsichtlich der Bedürfnisse des Jugendlichen braucht. Diese Bedürfnisse sind individuell, weswegen es keine pauschale Antwort über das richtige Maß der Unterstützung gibt. Das bedeutet: Zu fragen, was gebraucht wird, auf Augenhöhe zuzuhören und sich ab und an ehrlich zu hinterfragen, aus welchem Antrieb heraus Hilfe und Unterstützung angeboten wird. Und dabei eins nicht vergessen: Die Freude am Erkunden des Lebens!
Quellen und weitere Literatur:
Calmbach und C. Schleer (2020). Berufsorientierung und „Future Readiness“ Jugendlicher, SINUS-Studien. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. https://doi.org/10.1007/978-3-658-31269-5_1
Boockmann, B.; Brändle, T.; Klee, G.; Kleinemeier, R.; Puhe, H.; Scheu, T. (2017): Das Aktivierungspotenzial von Eltern im Prozess der Berufsorientierung – Möglichkeiten und Grenzen. Studie für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Tübingen und Bielefeld.
Lohaus, Arnold; Vierhaus, Marc (2019): Frühe Eltern-Kind-Interaktion und Bindung. In: Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für Bachelor: Springer, Berlin, Heidelberg, S. 119–130. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-59192-5_8.
Schwarzer, Ralf; Jerusalem, Matthias (2002): Das Konzept der Selbstwirksamkeit: Beltz.
Tobias Scheu; Günther Klee; Tobias Brändle; Bernhard Boockmann (2021): Die Rolle der Eltern im Prozess der Berufsorientierung. In: Die Rolle der Eltern im Prozess der Berufsorientierung. DOI: 10.3278/DVB2102W035.