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Warum es wichtig ist, loszulassen

 
Workshop-Intro mit dem Roller Coaster

Photo by Matese Fields on Unsplash

 
 

Es ist Ende Mai, die meisten Abschlussprüfungen sind geschrieben und der Schulabschluss ist bald in der Tasche. Ein Grund zum Feiern! Bereits in einigen Monaten wird es für die meisten Jugendlichen entweder mit einer Ausbildung, einem Studium oder z.B. einem FSJ/Bufdi weitergehen. Die Aufregung, Vorfreude und auch Nervosität werden mit großer Wahrscheinlichkeit bei allen Familienmitgliedern steigen.  

Mit dem Studium oder der Ausbildungswahl des eigenen Kindes ist sehr häufig die zukünftige, räumliche Trennung verbunden. Das Kind, das man jahrelang begleitet, umsorgt und bei sich hatte, beginnt nun immer deutlicher und mit großen Schritten sein eigenes Leben.  

Neben Freude und Stolz über den gemeisterten Lebensabschnitt, empfinden Eltern oftmals auch Sorge und Trauer, da sie aufgefordert sind, loszulassen. Etwas, was uns Menschen besonders schwerfällt, da wir (als „Herdentiere“) gerne an Vertrautem festhalten. Vertraute Menschen, Umgebungen oder Gewohnheiten geben uns Sicherheit und erfüllen somit ein menschliches Grundbedürfnis.  

Während für (Klein-)Kinder Bindung essentiell ist, da nur so Autonomie, ein Gefühl der Sicherheit und vor allem Grundvertrauen entwickelt werden kann, so ist für den Jugendlichen das Ablösen eine wichtige Voraussetzung zum eigenständigen Denken und Handeln. Nach Erich Fromm ist die Ablösung zwar ein beängstigender Prozess, der aber zur Menschwerdung des Einzelnen notwendig ist und somit eine Voraussetzung dafür, dass wir eigenständig und selbstbestimmt unser Leben gestalten können. 

Der Zwiespalt zwischen Bindung und Loslassen kann laut Nossrat Peseschkian, Begründer der Positiven Psychotherapie, problematisch werden, wenn Eltern ihrem Bedürfnis nach Verbundenheit mehr Raum geben als dem Bedürfnis des Kindes nach Ablösung – z.B. wenn sie den Auszug vehement ablehnen, sich permanent melden oder eigenen Entscheidungen des Kindes ausschließlich skeptisch gegenüberstehen. Dann entsteht ein Konflikt zwischen diesen beiden Bedürfnissen.  

Daher ist es zunächst wichtig, beide Wünsche zu erkennen und zu verstehen. Dass das Kind sich ablösen möchte, zeigt z.B. auch, dass es mit Selbstständigkeit und eigener Freiheit umgehen kann. Gleichzeitig bedeutet dies nicht, dass sich das Kind von der Familie oder den Eltern abwendet oder gar die Beziehung zueinander beendet wird. Vielmehr findet eine Art Umstrukturierung und Weiterentwicklung der Beziehung zueinander statt.  

Auch für die Jugendlichen ist das Losgehen eine Herausforderung, da sie sich weiterhin nach Verbundenheit sehnen und die plötzliche Freiheit und Selbstbestimmtheit auch überfordernd sein kann. Wie schließe ich Verträge ab? Welche Versicherungen brauche ich? Wie finde ich eine gute WG und neue Freunde an der Uni? Es ist eine Zeit der Veränderung auf beiden Seiten. Eltern können durchaus signalisieren, dass sich das eigene Kind bei Problemen oder Herausforderungen an die Eltern wenden kann und gleichzeitig ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten des Kindes betonen. 

Es wird deutlich: Für den Menschen ist beides – das Bedürfnis nach Verbundenheit und Autonomie – wichtig und je nach Lebensabschnitt ist das eine oder das andere stärker ausgeprägt. 

In den letzten Jahren ist die Ablösung von Kindern und Eltern schwieriger geworden und hat sich zeitlich hinausgezögert. So stehen sie zum Beispiel durch Soziale Medien und Smartphones in sehr engem und häufigem Kontakt, was das Loslösen erschwert. Hinzukommt, dass Kinder später ausziehen und im Allgemeinen sehr behütet aufwachsen. Für die Eigenständigkeit, das Menschwerden und das Vertrauen in einander ist dies keine förderliche Entwicklung.  

Fazit: Es ist absolut menschlich, dass Loslassen schwer ist. Und dennoch ist es ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung des Kindes und der veränderten Beziehung zueinander. Habt Vertrauen in Euch – wann, wenn nicht jetzt? 

Literatur: 

Nossrat Peseschkian: Positive Psychotherapie 

Erich Fromm: Die Seele des Menschen  

Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten