Moral in der Arbeitswelt? – Acht Reflexionsfragen für Dich und Dein Team
Als Moral werden Normen und Regeln bezeichnet, die in einer Gesellschaft allgemein anerkannt sind. Unter moralischem Handeln verstehen wir also ein Handeln, dass wir, als Gesellschaft, als richtig und gut bewerten.
Wenn jemand unmoralisch handelt, sieht man ihn: den Zeigefinger. Erhoben weist er dem Gegenüber den Weg von „böse” zu „gut”. Er zeigt auch von mir, der weiß, wie es sich zu verhalten gilt, zum Gegenüber, der dies in meinen Augen nicht tut. Der erhobene Zeigefinger hat ein schwieriges Image. Einerseits steckt im Hinweis durchaus etwas „Wahres”, aber andererseits kann es richtig nerven, wenn man vom Anderen belehrt wird („Ja, ja, Du hast ja Recht!”). So wird der gutmeinende Wegweiser häufig als Moralist abgestempelt, dem ausschließlich daran gelegen ist, seine eigene Vortrefflichkeit im Beisein des Gescholtenen zu feiern. Aus dieser Perspektive haben die Moraldiskussionen durchaus etwas mit Status zu tun. Der Moralist im „Hochstatus“ über dem Gescholtenen im Tiefstatus.
Moral oder Moralismus?
Wann ist Moral also hilfreich und konstruktiv und wann bewirkt Moral eher das Gegenteil? Hier hilft die einfache Unterscheidung zwischen Inhalt und Form der Botschaft. Greta Thunberg beispielsweise streitet und kämpft zweifelsohne für einen hochrelevanten Inhalt: gegen die Klimakrise. In der Form wählt sie mitunter eine drastische und kämpferische Rhetorik. Rechtfertigt der Inhalt hier aber die Vehemenz? Ist Gretas Auftritt angemessen? Nimmt man ihr ab, dass sie wirklich für den Inhalt kämpft und gesteht man ihr diese Form deswegen eher zu? Ein trivialeres und für viele alltäglicheres Beispiel: Du gehst nachts um 2 Uhr auf einer wenig befahrenen Straße über eine rote Ampel. Weit und breit kein Auto zu erkennen. In dem Moment öffnet sich ein Fenster und jemand stellt Dich für dieses Vergehen lautstark zur Rede. Angemessen? Übertrieben? Passt die Form der Ansprache? Zum Inhalt?
Die Frage der Stimmigkeit entscheidet also jede*r für sich. Es kommt spätestens dort zum Abgleich der gesellschaftlichen mit den persönlichen Einstellungen und Werten. Somit sollte es meine persönliche Verantwortung sein, wie ich (moralisch) agiere und reagiere. Damit ist eingeschlossen, dass in bestimmten Situationen auch Schweigen eine für mich angemessene Form wäre.
Moral und Beruf: Wie passt das zusammen?
Wie verändern sich nun diese persönlichen Parameter in meiner Arbeitswelt? Morgens ziehe ich mir den „Mantel der beruflichen Rolle” an und abends lege ich diesen wieder ab. Einerseits wärmt mich dieser Mantel. Wir sind durch ihn eben nicht gezwungen, jegliche Details unserer Privatsphäre in der Organisation zum Thema machen zu müssen und werden in diesem Sinne geschützt. Andererseits formt uns der Mantel auch. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr tragen wir ihn und werden dadurch als Persönlichkeiten geprägt. Können unsere Moralvorstellungen dabei außen vor bleiben?
Wenn wir uns die Unternehmen näher betrachten, in denen wir unsere Arbeit verrichten, so funktionieren viele Organisationen nach dem Grundverständnis von Milton Friedman. Er sagte: „The business of business is to make business.” und verdeutlichte damit, dass sich die Wirtschaft gefälligst auf das Geschäft konzentrieren und sich aus sozialen und moralischen Fragen heraushalten solle. Zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen seien die Firmenchefs weder legitimiert noch qualifiziert. Dies sei die Aufgabe des Staates. Friedmans Satz stammt aus dem Jahre 1970 - diese zeitliche Einordnung erscheint mir wichtig. Denn in dieser Zeit waren die Gegengewichte „Staat und Wirtschaft“ viel deutlicher als heute. Staaten hatten direkteren Zugriff und andere Gestaltungsmöglichkeiten als heute, wo global vernetze Konzerne sich immer mehr dem Zugriff nationaler Gesetzgebung entziehen. Vor diesem Hintergrund ist Friedmans Maxime für die heutige Zeit zumindest in diesem Punkt kritisch zu betrachten.
Nichtdestotrotz prägte Friedmans Maxime eine ganze Generation von Managern und damit auch Unternehmenskulturen. „Wenn ich es nicht mache, dann tut es eben jemand anderes!” wird in Unternehmen dieser Art vermutlich häufiger gesagt als woanders. In einem solchen Umfeld fühlen wir uns wie das „berühmte Rädchen im System” - eindrücklich dargestellt im Kurzfilm „Moderne Zeiten” von Charlie Chaplin. Entfremden wir uns in solch einem Umfeld nicht nur von unserer Arbeitstätigkeit, sondern auch von uns selbst und unseren moralischen Vorstellungen? Wo liegt dann und dort unsere persönliche Verantwortung? Wir meinen: mindestens in der Reflexion über dieses Phänomen.
Reflexionsfragen zu Moral in der Arbeitswelt
Genau dafür schlagen wir acht Fragen vor, um Moral für Dich in Deiner beruflichen Rolle zu reflektieren. Am besten geht das ganz konkret mit Deinen Kolleg*innen im Diskurs. So erhöht sich auch die Chance, dass sich etwas Konstruktives in Deinem Arbeitsumfeld verändert:
Wie oft darf man in Deinem Unternehmen „Warum“ fragen?
Was schuldet Dein Unternehmen der Gesellschaft?
In wessen Gegenwart versuchst Du, ein besserer Mensch zu sein?
Wie wird man bei uns im Unternehmen zur moralischen Autorität?
Was ist eine Sache Deines Arbeitskontextes, von deren Wahrheit Du fest überzeugt bist, aber niemand Dir zustimmt?
Worauf kannst Du Dich mehr verlassen: Deinen Charakter oder Deinen Verstand?
Ist das, was notwendig ist, auch vernünftig?
Wovon warst Du vor zehn Jahren noch vollkommen überzeugt – jetzt aber nicht mehr?
Möchtest Du mehr über das Thema erfahren? Hier kommst Du zu einer hörenswerten Folge des WDR5 Podcasts „Das philosophische Radio”.