Krieg, Frieden und die Moral
Jeden Tag konfrontieren uns die Medien mit dem Schrecken, den bewaffnete Konflikte, Kriege und Terrorismus in der Welt erzeugen. Momentan erleben wir die Bedrohung spürbar nah, auf dem eigenen Kontinent. Alles fühlt sich erschüttert an. Man spricht von einem neuen Zeitalter, einer anderen Weltordnung.
Gleichzeitig scheint im Alltag jedoch alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Wie sollen wir die Tatsache werten, dass die Gegenwart von Krieg beinahe zum Alltagsgeschehen geworden ist? Handelt es sich bei dieser scheinbaren Normalität um puren Selbstschutz oder vielmehr um eine Form von Gleichgültigkeit, weil wir uns noch sicher fühlen? Was passiert mit unseren Werten wie Gerechtigkeit, Ehrbarkeit oder Vertrauen durch das Kriegsgeschehen?
Der Mensch scheint sich überwiegend Frieden zu wünschen, doch gleichzeitig scheint diese Sehnsucht stets von Feindseligkeiten bedroht. Gibt es dennoch Wege zum Frieden oder ist das für immer eine Utopie? Gehört Krieg dazu und müssen wir sogar so weit gehen, einen Krieg oder bewaffneten Konflikt zu legitimieren?
Ergibt Krieg in irgendeiner Weise Sinn?
Eine seriöse philosophische Abhandlung über den Frieden und die Möglichkeit seiner Verwirklichung innerhalb einer bestehenden gesellschaftlichen Ordnung beginnt mit einer realistischen Einschätzung der Ausgangslage.
Nichts anderes tat zumindest der Philosoph Immanuel Kant, der in seiner Abhandlung „Zum Ewigen Frieden“ der klaren Vision eines dauerhaften Friedens zwischen den Menschen eine sehr ernüchternde Perspektive auf die konkreten historischen Bedingungen seiner Zeit voranstellte. Hin und her gerissen zwischen idealistischer Moralität und kritischem Realismus betrachtete er trotz seines hohen Friedensideals den Krieg als Normalzustand unter den Menschen. Kant unterbreitete jedoch auch Vorschläge, wie der politische Frieden institutionell herbeigeführt und gesichert werden könne, auch über die Grenzen hinweg. Mit seiner Idee von einem Völkerbund, in dem sich die Staaten verpflichten, wechselseitig ihre Freiheit und Souveränität zu respektieren und zu schützen, legte er das Fundament, auf dem sich 1919 der Völkerbund und schließlich 1945 die Vereinten Nationen gründeten.
Was den Menschen, seiner Natur gemäß, instinktiv antreibt, ist der Wunsch nach Entfaltung seines ihm spezifischen Potenzials durch ein grenzenloses Streben nach Geltung. Es ist dieser unstillbare Hunger der Menschen nach Macht sowie ihre grenzenlose Gier, die sie im Naturzustand zu Konkurrenten macht und so schließlich in den Krieg führt.
Das, was laut dem Zukunftsinstitut Menschen weiterhin immer wieder in den Krieg treibt, sind psychologische Gründe. „War Is A Force That Gives Us Meaning“, lautet ein Buchtitel des Autors Chris Hedges. Krieg stiftet Sinn, Gemeinsamkeit, Identität. Er konstituiert ein exklusives, heroisches Wir, welches sich in der Gefahr bewährt und gegenseitig stabilisiert. Gewalt entsteht, wo Individuen oder ganze Gruppen extreme Verluste von Selbstwirksamkeit erleiden.
Aber was lässt die Menschen friedlich sein?
Nur wo würdige Lebensverhältnisse und Gerechtigkeit herrschen, kann sich Frieden langfristig entwickeln. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Lothar Brock versteht den Frieden „als eine ins Unendliche fortschreitende Annäherung“. Weiterhin sagt er Gewalt könne nicht als Legitimation von Gegengewalt dienen. Er führt dieses Dilemma weiterhin aus: „Wenn Friede und Gerechtigkeit eins sind, kann derjenige, der im Namen der Gerechtigkeit Gewalt anwendet, sich auch noch darauf berufen Friedenspolitik zu betreiben“.
Der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiels definiert Frieden als „Prozessmuster des internationalen Systems, das gekennzeichnet ist durch abnehmende Gewalt und zunehmende Verteilungsgerechtigkeit”. Er stellt in seinem Buch „Friedensstrategien“ heraus, dass nach der Beschäftigung vieler Wissenschaftler mit diesem Thema seit Jahrzehnten folgendes immer wieder empfohlen wird: die Demokratisierung der Herrschaftssysteme und die Zusammenarbeit in internationalen Organisationen.
Frieden ist keine leere Idee. Frieden ist ein Wert an sich, gleichbedeutend mit Freiheit. Frieden ist ein positives Gut. Zu ihm gibt es keine moralisch vertretbare Alternative. Zukunft aber hat er nur unter der Voraussetzung eines beständigen Bemühens um die Herstellung friedensgeeigneter Bedingungen und Strukturen. Sie allein ermöglichen ein geregeltes Zusammenleben auf individueller und gesellschaftlicher, politischer und moralischer Ebene.
Frieden zu schaffen und zu leben ist eine Aufgabe, die kontinuierlicher Anstrengungen und bewussten Bemühens eines jeden bedarf. Für Frieden gibt es keine schnelle Lösung. Aber man muss auch kein Friedensforscher oder Politiker sein, um etwas für den Frieden zu tun. Jeder kann das. Auch Du und ich.
"Da Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen, muss in den Köpfen der Menschen Vorsorge für den Frieden getroffen werden"
– Präambel der Verfassung der UNESCO aus dem Jahr 1945.