Was war Eure Mutprobe?
Ohnmacht ist ein gefährliches Gefühl. Wer nicht daran glaubt, etwas tun, etwas verändern zu können, wird gleichgültig oder aggressiv. Das zerstört Familien, Unternehmenskulturen und gefährdet die Demokratie. Aber ist es eine Überraschung, dass immer mehr Menschen resignieren? Unternehmen stehen unter wachsendem Druck, die Politik scheinen nicht mal mehr die zu durchschauen, die sie machen. Das Tempo der Veränderung gibt vielen das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Was kann man da schon tun?
Man kann mutig sein.
Mut. Lange habe ich nachgedacht über das Wort Mut. Welchen Wert hat Mut? Wo habe ich Mut erlebt und was ist das Gegenteil von Mut?
Seit vielen Jahren arbeite ich in Umfeldern, in denen produziert wird. Kabelsätze für die Automobilindustrie, Glasverpackungen für die Pharmaindustrie, Leuchten für alle möglichen Industrien und Haushalte. Ich habe gesehen, wie Bahnschienen und Hochdruckreiniger hergestellt werden. Noch dazu komm‘ ich aus dem Ruhrpott, da wurde nicht nur abgebaut, sondern auch viel produziert. Aber warum komme ich darauf?
Ich habe in dieser Zeit tolle Menschen kennengelernt, Menschen die Stolz auf ihre Arbeit sind. Menschen, die voller Leidenschaft an ihrem Schreibtisch sitzen, denken, planen, andere Menschen entwickeln und begleiten. Und Menschen, die begeistert unter größten körperlichen Strapazen in ihrer Schicht arbeiten.
„blue and white“
Immer wieder habe ich in diesen Jahren Berührungsängste zwischen den „blue collars“ und den „white collars“ gespürt. Zwischen den Kollegen, die in der Produktion an der Maschine stehen und denen, deren Arbeitsplatz am Schreibtisch vor Bildschirmen zu finden ist. Jeder konzentriert sich voll und ganz auf sein Gebiet, mit größtem Engagement. Doch ganz oft reicht es nicht aus, sich nur im eigenen Bereich zu engagieren.
Oft gibt es Themen, wo ein „aufeinander zugehen“ wertvoll wäre. Ein „einander verstehen“ sinnvoll wäre, um Herausforderungen, die es im jeweiligen Werk oder Standort gibt, konstruktiv gemeinsam lösen zu können. Doch es gibt eine gewisse Mutlosigkeit, wirklich aufeinander zuzugehen. Lieber spricht man über „die da oben“ oder „die da unten“, gefahrlos aus der Ferne. Irgendwie hat man das Gefühl von Ohnmacht auf beiden Seiten – mit Gleichgültigkeit oder Aggression als Resultat.
Die Klassifizierung in „blue“ und „white“ hat keinen wertvollen Beitrag geleistet. Diese Unterscheidung manifestiert die Grenze. Die einen fühlen sich klein und ausgebeutet, die anderen denken, durch den Umgang mit den „Blaukragen“ würde sich ihr weißer Kragen vielleicht auch ein wenig verfärben.
Vielleicht gelingt es uns in der Zukunft, „blue“ und „white“ aus unserem Sprachgebrauch zu löschen und einfach zu sehen, dass jeder seinen wichtigen Platz im Unternehmen hat, der bedeutsam ist für „Gute Arbeit“. Egal ob auf dem Shopfloor oder am Schreibtisch. Vielleicht gelingt es uns mutig aufeinander zuzugehen, ohne einfache Antworten zu haben, sondern manchmal auch Spannungen auszuhalten. Vielleicht gelingt es uns, Vertrauen zu verschenken.
Lasst uns die Dinge neu und zugewandter denken. Schließlich geht nichts voran, wenn niemand ausschert und Neues probiert.
Mut schreibt die schönsten Geschichten. Was war Eure Mutprobe?