Unbegrenzte Freiheit in einer begrenzten Welt
Was ist Freiheit? Diese Frage wirkt simpel und doch ist sie nicht leicht zu beantworten. In der Geschichte wird sie von Gesellschaften vor allem darüber beantwortet, welche Freiheiten unterdrückte Bevölkerungsgruppen nicht hatten. Doch was bedeutet das für uns in den freiheitlichen westlichen Welten, in denen wir politische Unterdrückung durch suppressive Systeme aktuell überwunden haben? Wie gestalten wir Freiheit? Und sind wir mit unserem Freiheitsverständnis der individuellen Selbstauslebung in Verbindung mit Konsum vielleicht in Anbetracht eines Planeten mit begrenzten Ressourcen inzwischen über das Ziel und den Kern der Freiheit hinausgeschossen?
„Frau, Leben, Freiheit!“ Unter dieser Forderung protestieren aktuell tausende Menschen im Iran gegen die aktuelle politische Situation, ihre Unterdrückung und das Regime. Auslöser der Proteste ist der Tod der jungen Frau Mahsa Amini am 16. September 2022, die von der Sittenpolizei verhaftet wurde und durch Misshandlungen in Haft starb. Diese Menschen suchen Freiheit – eine Freiheit, in der sie sagen können, was sie wollen, anziehen können, was sie wollen, und für beides nicht eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung durch die Polizei befürchten müssen – eine Freiheit von einem autokratischen Regime.
Wie kann Freiheit definiert werden?
Das Wort „Freiheit“ kann viele Bedeutungen haben, häufig in Zusammenhang damit, von was eine Person frei sein möchte. Die Menschen im Iran möchten frei von Unterdrückung sein. Das Wort Freiheit stammt vermutlich von dem germanischen Begriff fri-halsa, was übertragen soviel bedeutet wie: jemand, dem sein Hals selbst gehört. Diese Bedeutung von Freiheit stammt somit aus einer Zeit, in der Sklaverei in der Antike und Leibeigenschaft später im Mittelalter zum Alltag gehörte. Der Zustand, dass ein Mensch keinen anderen Menschen besitzen und nach Belieben über diesen verfügen kann, ist zu dieser Zeit keineswegs anerkannter Normalzustand, sondern allenfalls Traum und damit Freiheitswunsch.
Nach der friedlichen Revolution und der deutschen Wiedervereinigung 1990 muss in den westlichen Industriestaaten kein:e Bürger:in gegen die Unterdrückung durch ein diktatorisches Regime protestieren. Sklaverei und Menschenhandel wurden verboten und so vom gesellschaftlichen Stand zum verfolgten Verbrechen. Der Begriff Freiheit entwickelt somit eine neue Bedeutung, die wir als Gesellschaft definieren müssen. Freiheit kann verstanden werden als die Freiheit von als Last empfundenen Zwängen und Verpflichtungen. Alternativ kann Freiheit die Möglichkeit sein, im Rahmen der gegebenen Umstände eigenständig Entscheidungen zu treffen und sein Leben in die Hand zu nehmen.
Freiheit und ihre Grenzen
Gerade diese erste Definition der Freiheit als Freiheit von allen Zwängen gilt philosophisch als umstritten. So wurde erst durch das Setzen von Grenzen der persönlichen Freiheit, wie zum Beispiel der Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ein Raum geschaffen, den es frei zu gestalten gilt. Orientierung bei dieser Gestaltung liefern unter anderem die eigenen Werte. Zur Zeit der Aufklärung entwickelte sich unser heutiger Freiheitsbegriff. Unter anderem Kant sieht die Vernunft als die Grenze, durch die sich Freiheit einschränken lassen muss, aber durch die sie auch erst entstehen kann. Die Vernunft wäre die Gabe, das gute Handeln zu erkennen und sein Streben danach auszurichten, wodurch aus dem guten Willen ein freier Wille und aus dem vernünftigen sowie verantwortungsvollen Handeln eine Freiheit zur Selbstgestaltung im Rahmen dieser Grenze wird. Das Streben nach der Unabhängigkeit von allen Grenzen wird in diesem Verständnis von Freiheit als Willkür bezeichnet.
Politisch wurde die Freiheit eines Menschen als Grund- und Menschenrecht in unserer Verfassung verankert und darüber definiert, dass wir frei sind alles zu tun, solange dies nicht die Freiheit einer anderen Person über ein lästiges Ärgernis hinaus einschränkt (individuelle Freiheitsrechte). Hier ist also die Grenze die Freiheit anderer. Wo diese Grenze allerdings zu ziehen ist, muss in jeder Gesellschaft ausgehandelt werden. So ist in den USA die Freiheit, in der Schule wahrscheinlicher nicht erschossen zu werden, keine ausreichende Einschränkung für die Freiheit anderer, Waffen besitzen und tragen zu dürfen. In Deutschland wurde diese Grenze, welche Freiheit die andere einschränken darf, anders gesetzt. Allerdings muss gesagt werden, dass in den USA die Freiheit, eine Waffe zu tragen, ebenfalls mit Verantwortung begründet wird, der Verantwortung für die Sicherheit der eigenen Familie.
Freiheit im Kontext der Klimaschutz-Debatte
Doch auch in Deutschland ziehen wir Freiheitsgrenzen. Durch Slogans wie „Freie Fahrt für freie Bürger“ hielten die individuellen Freiheitsrechte Einzug in die Diskussion um Klimaschutz-Politik und damit einhergehende Verbote wie ein Tempolimit. Gegner:innen von Verboten erklären, dass ein Tempolimit oder ein Verbot von Inlandsflügen, eine höhere Besteuerung von CO2, ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern und das Abschaffen des Verbrennungsmotors ihre individuelle Freiheit beschränke. Und ja, sollte all das umgesetzt werden, würde das zu einer Veränderung im Leben vieler Menschen führen. Es wäre nicht mehr möglich oder zumindest sehr viel teurer, mit 200 km/h über die Autobahn zu rasen, im Sommer jeden Tag ein halbes Schwein im Garten zu grillen, übers Wochenende nach Mallorca und einmal im Jahr auf die Malediven zu fliegen. Wir müssten weniger Auto fahren, vielleicht stattdessen häufiger das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen.
Doch ist das tatsächlich Bestandteil unseres Grund- und Menschenrechts Freiheit? Gemessen an der Freiheit, für die die Menschen im Iran demonstrieren, scheint die Antwort klar, auch wenn fraglich bleibt, ob das der Maßstab sein muss. Wenn wir jedoch Kants Maßstab der Vernunft heranziehen und uns die Frage stellen, ist dieses Verhalten vernünftig angesichts einer globalen Katastrophe, die wir dadurch herbeiführen, ist die Antwort vielleicht nicht mehr ganz so eindeutig, ob das noch Freiheit ist.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat 2021 eine Grenze zwischen Freiheiten gezogen. Es erklärte das aktuelle Klimaschutzgesetz für verfassungswidrig, weil es die Freiheiten der Bürger zu stark einschränke. Allerdings nicht derer, die diese Aussage gerne für sich beanspruchen, sondern die Freiheit junger Menschen. So würden die aktuell fehlenden Maßnahmen zwar zu milden Freiheitseinschränkungen bei älteren Generationen führen. Allerdings müssten dann in späteren Jahren umso stärker freiheitseinschränkende Maßnahmen getroffen werden, die die Freiheiten jüngerer Generationen unverhältnismäßig stark einschränken würden. Wenn also heute nicht gehandelt wird, muss in den nächsten Jahren gehandelt werden. Ob wir dann allerdings noch etwas aktiv gegen diese Krise tun können oder nur noch auf die Katastrophe reagieren, bleibt abzuwarten.
Auch angesichts dieser Entscheidung stellt sich die Frage, ob im aktuellen Diskurs um Klimaschutzmaßnahmen die Freiheit als Argument und als Begriff etwas überstrapaziert ist. Denn es bleibt die Frage: Können wir uns unbegrenzte Freiheit erlauben in einer begrenzten Welt?