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Blogbeiträge

Herbert Simon und die Entscheidungsprämissen der Organisation

 

Herbert A. Simon, Nobelpreisträger 1978

 
 

Begrenzungen der eigenen Spielräume sind bei vielen Mitarbeitenden nicht gerade gern gesehene Gäste. Die instinktive Reaktion auf solche Einschränkungen ist häufig Widerstand oder Verlustangst.  

Was steuert Organisationen? 

Mitarbeitende sind es aus ihrem Arbeitsalltag eben gewohnt, weitgehend selbständig zu entscheiden. Selbst in Abteilungen mit den rigidesten Vorschriften ist es am Ende des Tages die Mitarbeiterin selbst, die entscheidet, ob und wie sie handelt. Ob ich das, für mich unnötige, Meeting wahrnehme und wie ich dort präsent bin, liegt weder beim Einladenden, bei meiner Chefin oder meinem Kollegen. In letzter Konsequenz ist es meine Entscheidung, wie ich mich dazu verhalte.  

Organisationen haben auf diese Eigenständigkeit (zum Glück) nur eingeschränkten und indirekten Einfluss. Zwar können sie unerwünschtes Handeln sanktionieren – die Ultima Ratio, ein Ende der Mitgliedschaft herbeizuführen, ist aber keine Option, die eine Organisation häufig ziehen kann. Wie schafft es die Organisation trotzdem, viele unterschiedliche Akteure zu koordinieren? Hier kommt der Sozialwissenschaftler Herbert Simon ins Spiel. Simon erhielt den Nobelpreis für seine Forschung zu Entscheidungsprozessen in Wirtschaftsorganisationen. Seine Erkenntnisse haben es hoffähig gemacht, die Meinung zu vertreten, dass Menschen nicht auf Basis vollständiger Informationen entscheiden. Man entscheidet, wenn man sich hinreichend sicher und zufrieden fühlt. Damit stellte Simon das Standardmodell der Ökonomie – dass Akteure rationale Wahlhandlungen auf Basis vollständiger Information treffen – grundlegend in Frage.  

Entscheidungsprämissen als Rahmen für autonomes Handeln 

Nach Simon werden im Organisationsgeschehen zum Beispiel Entscheidungen getroffen, die als Prämissen für weitere Entscheidungen dienen. Diese sogenannten "Entscheidungsprämissen" legen in diesem Sinne den Spielraum für eine Vielzahl von weiteren Entscheidungen fest, wirken aber nicht kausal auf sie ein (vgl. Simon 1957). 

Der Begriff bricht deutlich mit Vorstellung einer rationalen, funktionalen, zweckgerichteten Organisation, die, durch korrekte Anwendung ihrer inneren Regeln, „wie geschmiert“ läuft. Stattdessen koordinieren Organisationen die Akteure durch vielfältige und situative Einschränkungen ihrer Entscheidungsspielräume.  

Vgl. Boos 2015

Auf Basis von Herbert Simons Erkenntnissen hat es sich in der Organisationstheorie – vor allem getrieben durch Niklas Luhmann – durchgesetzt, drei grundlegend verschiedene Typen von Entscheidungsprämissen zu unterscheiden: 

  • Programme: In sachlicher Hinsicht wird hier die programmatische Positionierung der Organisation entschieden: Mit welchen Aufgaben beschäftigen wir uns (nicht)? Welches Handeln innerhalb der Organisation wird als richtig oder falsch angesehen? Beispiele hierfür sind Festlegungen durch Strategien, Zielsysteme, Richtlinien, Dienstanweisungen oder IT-Workflows.

  • Kommunikationswege: Hier wird festgelegt, auf welche Art und auf welchen Bahnen in der Organisation kommuniziert werden kann oder muss. Beispiele sind u. a. die Aufgabenverteilung, Berichtswege, Unterschriftenregelungen, Meetingstrukturen und -formate oder Entscheidungsverfahren. 

  • Personal: Hier liegt die Überlegung zugrunde, dass es einen Unterschied macht, mit welcher Person (oder "Typen" von Personen) eine Position besetzt wird. Es macht z.B. ein Unterschied, ob die Personalleitung einen juristischen oder philosophischen Hintergrund hat. Beispiele sind Entscheidungen über Einstellung, Versetzung oder Kündigung oder Maßnahmen zur Personalentwicklung. 

Über diese drei Prämissen kann entschieden und damit bewusst gesteuert werden, allerdings ohne kausale „wenn-dann-Logik“.  

Kultur als unentscheidbare Entscheidungsprämisse

Im Organisationsgeschehen gibt es jedoch eine weitere Prämisse: Die Organisationskultur. Auch hier gibt es Normen und Regeln – diese entstehen aber unbewusst und sind nicht zweckrational. Für das Handeln der Organisationsmitglieder sind sie dennoch von großer Bedeutung (“so läuft das hier bei uns wirklich”).

Der praktische Nutzen im Rahmen der Organisationsentwicklung 

Ganz konkret werden die Entscheidungsprämissen, wenn man sie auf aktuelle Organisationsfragen bezieht. Wenn man z.B. die Lieferzeiten verkürzen möchte, kann man die vorhandenen Prämissen daraufhin überprüfen:  

  • Welche Prämissen schränken uns unnötig ein?  

  • Wo haben wir eine Prämisse gesetzt, die mittlerweile eher dysfunktional ist?  

  • Bei welcher Prämisse können wir intervenieren? etc. 

Die Kultur wiederum wird indirekt – sozusagen "über Bande" – über die entscheidbaren Entscheidungsprämissen beeinflusst.